ALICE IM WUNDERLAND

„Alice im Wunderland“ mag man ja als Kinderbuch in Erinnerung haben, aber das, was die Zuschauer bei der Premiere im Silberfisch von den Abiturienten des P-Seminars präsentiert bekamen, war mehr als ein alter Klassiker. In einer modernen und bühnengeeigneten Version von R. Schimmelpfennig wurde ein lebendiges Wunderland dargeboten, in dem klassische und neue Elemente wirkungsvoll vermischt waren. Zahlreiche Musikstücke, solistisch oder mit der Bigband unter der Leitung von Ekkehard Grieninger gespielt, bereicherten das Theaterstück, sodass es fast als ein Musical zu bezeichnen war. Die Bläser, die zum Teil noch durch Lehrer der Schule verstärkt wurden, erzeugten einen gelungenen instrumentalen Hintergrund. Dadurch konnte eine eigene Dynamik erzeugt werden und dem Spiel auf der Bühne die passende musikalische Komponente zugeordnet werden.

Mit unglaublich viel Spielfreude schlüpften die 15 Schauspieler unter der Leitung von Katrin Hiernickel, die das Stück voller Ideenreichtum inszeniert hatte, in die typischen Rollen, die vielen vertraut sind. Mit originellen Kostümideen und voller Spieleifer überzeugten alle Schüler, die dieses Projekt im Rahmen eines sogenannten P(=Projekt)-Seminars am RMG auf die Beine gestellt hatten.

Eine von der farblosen Erwachsenenwelt gelangweilte Alice wurde von einem hektisch durch den Raum hoppelnden weißen Kaninchen (Laura Schneider), das stets „zu spät“ war, in ein Kaninchenloch gelockt. Daraufhin erlebte sie im Wunderland zahlreiche Erlebnisse, die sich zumeist aller Logik entzogen. Die verwirrte und neugierige Alice wurde von Felicia Jilke sehr authentisch gespielt. Sie hatte eine unglaubliche Textfülle zu bewerkstelligen und überzeugte durchweg in ihrer Rolle. Ihre Schwester (Katharina Lutsch), die lieber in langweiligen Büchern ohne Bilder liest, rief gleich am Anfang des Stückes ihrer kleinen Alice alle möglichen Ermahnungen so wunderbar herzhaft ins Kaninchenloch hinterher, dass die ersten Lachtränen rollten. Eine bekannte Rolle im Buch und auch in Verfilmungen ist der Verrückte Hutmacher, gespielt von Sophia Elflein, die es schaffte, auf ganz eigene Weise, diese Rolle zu interpretieren. Sprunghaft, lebendig, gelangweilt oder wild begeistert konnte sie ihr Temperament ausspielen und griff zwischendurch sogar noch ein paar Mal zur Gitarre, um zu singen oder zu begleiten. Eine besondere Herausforderung war die Rolle der Raupe. Luisa Steinhäuser musste in dieser Rolle nicht nur gefesselt in einem Schlafsack – quasi in einem Kokon – am Boden robben, was sehr lustig anzusehen war, sie musste auch voller Schläfrigkeit und Monotonie eine alte erfahrene, abgebrühte Raupe spielen, bestimmt nicht einfach für eine lebenslustige 18-Jährige. Auch beim Gesang überzeugte die Schülerin. Mit Ente und Humpty Dumpty hatte David Shigalkin eine Doppelrolle, die er beide auf ganz und gar verschiedene Art ausfüllte. Als watschelnde, quäkende Ente ein lustiges Highlight für das Publikum, als Humpty (= Ei) auf so einfältig, arrogante Art fesselnd, dass man an mancherlei Zeitgenossen erinnert wurde. Die Grinsekatze (Stefanie Benedict) hatte nicht nur die Bigband mit „Pink Panther“ hinter sich, sie bewegte sich so elegant und groovig auf diesem Klangteppich, dass man spätestens hier die Kategorie Kinderbuch verlassen hatte… Entspann dich, so ihr Credo, das sie singend und tanzend Alice überbrachte.

Diedeldum und Diedeldei (Vanessa Wilk, Jessica Barth) glänzten in ihren Rollen und agierten zur Freude aller Zuschauer urkomisch kostümiert und in herrlicher Gestik und Mimik auf der Bühne. Auch das verspielte Kaninchen (Laura Schneider), das immer wieder überraschend auftauchte und zum Bsp. mit Alice den Erlkönig verhunzte oder in der Küchenszene, die von der wechselhaft launischen Herzogin (Leonie Bock) und dem leidenschaftlichen Koch (Sascha Pataky) dominiert wurde. Während die Herzogin (niesend und singend) und der Koch ihre ganz persönlichen Animositäten ausfochten, köpfte und klopfte letzterer unzählige bunte Fische – die eigens von Schülern des Gymnasiums mit ihrer Lehrerin Kim Davey im Kunstunterricht gebastelt worden sind. Mitten in diese turbulente Szene trottete auch noch ein Rollmops (Johannes Frey), der seine Erinnerungen suchte.

Hase März

In der Teeparty gipfelte dann der Nonsens, wie er einstmals von Lewis Carrol angelegt worden war. 5 Uhr – Zeit für den Tee, unterbrochen von Weckerklingeln und Nebelhörnern und Dampf und wildem Durcheinander - das Ganze aber auf sehr stimmige und überzeugende Art und Weise. Aus dem Siebenschläfer (Mai Tan + 6) wurden kurzerhand die 7 Schläfer, die das Gesagte chorisch begleiteten und oder auch solistisch mit Gesang überzeugten. Ein Höhepunkt war der Monolog des Hasen März (David Klarmann), der traurig über das Älterwerden von Alice nachsann. Seine hoch konzentrierte Ausdrucksweise gepaart mit großer Bühnenpräsenz machte diesen Auftritt zu einem ganz besonderem.

In diese Szene hinein platzte die Herz-Königin, die erst mit herrischen Kommandos die Hummer-Quadrille befehligte und danach erst den echten (Katharina Lutsch) und dann den vermeintlichen Hummer, Alice, jagte. Per Gerichtsverhandlung sollte herausgefunden werden, wer Alice ist. „Kopf ab, Herz raus“ – das war der Standardspruch der Königin, die voller Überzeugungskraft allen größte Angst einjagte und sich sogar singend als „Queen of Pain“ outete. Zum Glück für Alice löste sich diese lebensbedrohliche Szene in einen fast unmerklichen Übergang in die Wirklichkeit auf. Wahrheit oder Traum, diese Frage wurde bewusst offengelassen und mit einem wunderbaren Tanz verabschiedeten sich alle Schauspieler in großer Ausgelassenheit vom Publikum. Mit den einstudierten Tänzen wurde der Aufführung noch eine weitere Komponente hinzugefügt, einmal als Einzeltanz von Lori (Leonie Bock) und einmal als Gruppenchoreografie. (einstudiert ebenfalls von Leonie Bock). Insgesamt konnten die Zuschauer an zwei Abenden ein Projekt erleben, das viele Talente gezeigt hat, aber auch eine Ahnung dessen, mit wie viel Probenarbeit dieses Projekt verbunden war, damit es gelingt. Der große Beifall an alle Akteure, von den Darstellern, über die Musiker, bis hin zur Technik (S-Crew) war deshalb mehr als verdient.