ZURÜCK IN DIE STEINZEIT

Total analog – einen Vormittag lang tauchen Sechstklässler in die Welt der Steinzeit ein

Solise bringt es auf den Punkt: „Wir schaffen das zu dritt nicht und der Mann hat das ganz alleine gemacht.“ „Der Mann“ ist der Archäologe Felix Schmeußer vom Museumspädagogischen Verein AGIL aus Bamberg. „Das“ ist der Versuch, mit Hilfe eines Bogens, eines Brettchens und eines abgerundeten Stabs Feuer anzufachen. Einfach und klar war alle Theorie – die Tücke liegt, das wird an diesem Tag offenbar, wie immer in der Praxis.
Speere schleudern, Schmuck basteln, mit Erdfarben hantieren, eine Feuersteinklinge gebrauchen – was im Geschichtsbuch einfach, klar, logisch und naheliegend anmutet, war in vielen Fällen das Ergebnis jahrhunderte- und jahrtausendelanger Entwicklungen, das Ergebnis großer Kreativität und intellektueller Anstrengung unserer Ahnen. „Die Kinder herauszuholen aus der Rolle des passiv goutierenden Beobachters und ihnen die aktive Erfahrung uralter Kulturtechniken zu ermöglichen, das war unsere Motivation, eine Geschichtsstunde einmal anders, im wahrsten Sinne des Wortes be-greifbar zu gestalten“, sagt Alexander J. Wahl, der Geschichtslehrer der zwei teilnehmenden sechsten Klassen, der Schmeußer ans Regiomontanus Gymnasium eingeladen hat. Auch der Wettergott meinte es gut mit dem Projekt – das gesamte Programm konnte auf dem großen Freigelände der Schule durchgeführt werden. Allein bei der Beobachtung des Funkenflugs am Feuerstein störte der strahlende Sonnenschein, aber das war auch schon alles. Ansonsten ist gutes Wetter der Ausdauer bekanntlich förderlich und diese brauchte es beim Versuch, als Dreier- oder Viererteam mit Bogen und Hölzern zumindest leichtes Kokeln zu erzeugen. Die Hartnäckigsten und Findigsten unter den Schülern schafften das auch, wie Schmeußer mittels einer Wärmebildkamera nachwies. Sie erreichten Temperaturen, bei denen als Zunder eingesetztes Naturmaterial wohl zu brennen anfinge.

 

Die Steinzeit-Menschen waren genau so schlau wie wir

„Vor 35000 Jahren besaß der Mensch, also Homo sapiens, bereits dasselbe Nervensystem wie heute, dasselbe Abstraktionsvermögen, dieselbe Fähigkeit zur Synthese. Diese Leute waren kein bisschen primitiv, sie gehörten zu unserer Spezies und waren Menschen wie wir. Natürlich haben sie die Welt anders gesehen, aber ihr Weltbild war deshalb nicht unbedingt weniger wertvoll.“ sagt der Generalkonservator des nationalen Kulturerbes in Frankreich und Spezialist für Höhlenmalerei Jean Clottes. Es ist eine ferne Welt vitaler und darum existentieller Probleme, in die wir bei unseren tastenden Versuchen, sich der Alt- und Jungsteinzeit zu nähern, eintauchen. Probleme, die von diesen Menschen gelöst werden mussten – erfolgreich gelöst, denn der Einsatz war das eigene Überleben. Die stürmische Entwicklung von Wissenschaften wie der Genanalyse, eine kritischere selbstreflexive Betrachtung der eigenen Arbeit (so waren einige ältere Theorien doch stark von Rousseauschen Vorstellungen vom Naturzustand oder von antiklerikaler Verve motiviert, so dass kein Kunstwerk sakral sein konnte, was es aufgrund der Vorstellung unschuldig heiter müßiggehender Naturmenschen nicht sein durfte) und Glücksfunde wie „Ötzi“ haben uns in den letzten Jahren enorme Erkenntnisgewinne beschert. Enorm gewachsen ist damit aber auch der Respekt vor unseren Ahnen und ihrer Leistung, sich in einer feindlichen Welt zu behaupten.

Wie nah uns diese fernen Menschen kommen können, zeigt die erhaltene Höhenkunst, die uns Heutige unmittelbar und tief ergreift. Gemalt wurde mit aus mineralhaltigen Erden gewonnenen Naturfarben, die mit Wasser, Eiweiß, Blut oder Urin gebunden wurden. Die Lust, andere Bindemittel als Wasser auszuprobieren hielt sich bei unserem Steinzeittag am RMG gleichwohl in engen Grenzen – um die Gebäude zu schonen, beschränkten sich die Schüler auf die Bemalung des eigenen Körpers mit von Schmeußer angerührten Naturfarben.

Einen Apfel hat früher sicher kein Mensch geschält - wozu auch? Doch um die Schärfe einer Feuersteinklinge einzuschätzen und die besondere, sägende Technik kennen zu lernen, die erforderlich ist, um mit dieser schneiden zu können, dazu eigneten sich Apfelschnitze hervorragend und die Kinder hatten hier den Bogen schnell raus, schließlich winkte die ebenso süße wie gesunde Belohnung.

Die Erfindung der Speerschleuder ermöglichte es den steinzeitlichen Jägern, auf weitere Entfernung und mit größerer Durchschlagskraft zu jagen. Bestens über die Ergebnisse der WM in Doha informiert und darob nicht besonders beeindruckt von der Reichweitenangabe 30 Meter im Geschichtsbuch zeigte sich im Vorfeld Bastian – in der Tat kann man mit modernen, bestens ausbalancierten Hightech-Speeren natürlich Weiten um die 90 Meter erreichen. Etwas völlig anderes ist sicherlich die Jagd und etwas völlig anderes war es auch für uns als Anfänger mit diesen Speerschleudern: da flogen die Speere nicht nur hin und her und keineswegs immer in gerader Optimallinie. Manches Mal flog der Griff gleich mit, lauthals beklatscht von den Kindern, wenn man mit demselben sogar eine größere Weite erreichte als mit dem Speer selbst. Reichlich unbewegtes Ziel war eine ferne Birke, die den Vormittag im Übrigen völlig ungefährdet überstand, was nicht nur daran lag, dass die Spitzen der Speere – im Gegensatz zur Steinzeit - selbstredend ungefährlich waren.

Text und Bilder: Alexander J. Wahl